Turingmaschine

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Die Turingmaschine ist ein von dem britischen Mathematiker Alan Turing 1936 entwickeltes Modell, um eine Klasse von berechenbaren Funktionen zu bilden eines Computers. Sie gehört zu den grundlegenden Konzepten der Informatik.

Das Modell wurde im Rahmen des von David Hilbert im Jahr 1920 formulierten Hilbertprogramms, speziell zur Lösung des so genannten Entscheidungsproblems, in der Schrift On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem vorgestellt. Alan Turing beabsichtigte, mit der Turingmaschine ein Modell des mathematisch arbeitenden Menschen zu schaffen.

Das Besondere an einer Turingmaschine ist, dass sie mit nur drei Operationen (Lesen, Schreiben und Schreib-Lese-Kopf bewegen) alle Probleme lösen kann, die auch von einem Computer gelöst werden können. Sämtliche mathematischen Grundfunktionen wie Addition und Multiplikation lassen sich mit diesen drei Operationen simulieren. Darauf aufbauend kann man dann komplexe Operationen der üblichen Computerprogramme simulieren. Eine Funktion, die so durch eine Turingmaschine berechnet werden kann, nennt man eine turingberechenbare Funktion. Die Church-Turing-These stellt die Behauptung auf, dass eine Turingmaschine gerade die von Menschen berechenbaren mathematischen Funktionen lösen kann. Daraus darf jedoch nicht gefolgert werden, dass eine Turingmaschine alle mathematischen Funktionen lösen kann. So kann etwa anhand des Halteproblems gezeigt werden, dass es mathematische Funktionen gibt, die nicht von Turingmaschinen (und daher gemäß Church-Turing-These auch nicht von Menschen) berechnet werden können.

Informelle Beschreibung

Die Turingmaschine besteht aus

Neben dem Band und dem Lese-Schreib-Kopf hat die Turingmaschine auch ein Programm – Regeln, wie die Eingabe auf dem Band vom Lese-Schreib-Kopf umgeschrieben wird und in welche Richtung dieser sich bewegt.

Die Turingmaschine modifiziert die Eingabe auf dem Band nach einem gegebenen Programm. Die Startposition der Turingmaschine ist am Anfang des Eingabeworts, d. h. an der Position des ersten Eingabezeichens.

Mit jedem Schritt liest der Lese-Schreib-Kopf das aktuelle Zeichen, überschreibt dieses mit einem anderen (oder dem gleichen) Zeichen und bewegt sich dann ein Feld nach links oder rechts oder bleibt stehen. Welches Zeichen geschrieben wird und welche Bewegung ausgeführt wird, hängt von dem an der aktuellen Position vorgefundenen Zeichen sowie dem Zustand ab, in dem sich die Turingmaschine gerade befindet. Dies wird durch eine zu der Turingmaschine gehörende Funktion definiert. Zu Beginn befindet sich die Turingmaschine in einem vorgegebenen Startzustand und geht bei jedem Schritt in einen neuen Zustand über. Ein Zustand kann mehrere Male durchlaufen werden, er sagt nichts über die auf dem Band vorliegenden Zeichen aus.

Zu Beginn der Ausführung ist die Turingmaschine in einem festgelegten Startzustand. Weiterhin kann es Endzustände geben, in denen die Maschine anhält.

Man kann bestimmte Zustände der Turingmaschine als Endzustände definieren. Sobald die Maschine in einen dieser Zustände kommt, bleibt sie stehen, unabhängig davon, welches Zeichen sich an der aktuellen Position befindet. Es gibt Eingaben, für die eine Turingmaschine niemals stoppt.

Die Turingmaschine wird (wie viele andere Automaten) auch für Entscheidungsprobleme eingesetzt, also für Fragen, die mit ja oder nein zu beantworten sind. Hierbei werden zum Beispiel zwei Zeichen vereinbart, wobei das eine als ja und das andere als nein interpretiert wird. Nach dem Anhalten der Turingmaschine liegt die Antwort als eines der beiden Zeichen auf dem Ausgabeband vor. Zu beachten ist dabei, dass sich jedes Problem als Entscheidungsproblem formulieren lässt, indem man fragt, ob ein bestimmter Wert eine Lösung für ein konkretes Problem ist.

Formale Definition

Formal kann eine deterministische Turingmaschine als 7-Tupel M = (Q, Σ, Γ, δ, q0, □, qf) dargestellt werden (siehe auch nichtdeterministische Turingmaschine).

Konfiguration

Die Konfiguration einer Turingmaschine beschreibt nicht nur den ihr eigenen momentanen Zustand qQ , sondern auch die Position des Lese-Schreib-Kopfes und die gerade auf dem Band vorhandenen Symbole.

Die Symbole befinden sich in einem endlichen Bereich des Bandes, der von unendlich vielen leeren Symbolen umgeben ist. Es genügt deshalb, diesen Bereich zu betrachten.

Formal kann eine Konfiguration einer Turingmaschine durch eine Folge X1 X2Xi − 1 q Xi Xi + 1Xn beschrieben werden.

X1 ist das am weitesten links stehende, nicht-leere Bandsymbol und Xn das am weitesten rechts stehende, nicht-leere Bandsymbol. Bewegt sich der Lese-Schreib-Kopf über den Rand hinaus, sind der Konfiguration noch weitere -Symbole hinzuzufügen.

Der Lese-Schreibkopf befindet sich über dem Zeichen Xi, seine Position lässt sich also auch kurz mit i notieren. Diese Position ist dadurch gekennzeichnet, dass qQ, der Zustand der Turingmaschine, in der Konfiguration vor dem Symbol Xi steht.

Durch eine Startkonfiguration wird das Eingabewort festgelegt. Eine übliche Startkonfiguration ist q0 X1Xn mit Startzustand q0 und Eingabewort X1Xn.

Berechnung

Die Überführungsfunktion δ gibt zu einer Startkonfiguration den Ablauf einer Turingmaschine vor. Sie wechselt in einem Schritt von der aktuellen Konfiguration in die Nachfolgekonfiguration. Ein solcher Schritt von Konfiguration c1 zu Konfiguration c2 kann als c1c2 dargestellt werden.

Schreibt die Überführungsfunktion für einen Zustand q und das Eingabesymbol Xi zum Beispiel vor, dass Y geschrieben wird, der Lese-Schreibkopf sich nach links bewegt und der Nachfolgezustand p ist, so bedeutet dies folgenden Schritt: X1Xi − 1 qXiXi + 1XnX1pXi − 1YXi + 1Xn.

Die Berechnung einer Turingmaschine ist eine endliche oder unendliche Folge von Konfigurationsschritten. Eine Turingmaschine akzeptiert ein durch die Startkonfiguration gegebenes Wort, wenn die Berechnung in dieser Startkonfiguration beginnt und in einer Konfiguration endet, in der die Turingmaschine im Zustand qf ist. Endet die Berechnung in einer anderen Konfiguration, verwirft die Turingmaschine das Eingabewort. Ist die Berechnung der Turingmaschine unendlich, wird das Wort weder akzeptiert noch verworfen.

Intuition

Die Turingmaschine führt eine Berechnung aus, indem sie schrittweise eine Eingabe in eine Ausgabe umwandelt. Ein-, Ausgabe und Zwischenergebnisse werden auf dem unendlich langen Band gespeichert.

Zu Beginn steht ein Wort als Eingabe auf dem Band (pro Bandfeld ein Zeichen des Eingabewortes), der Rest des Bandes besteht aus leeren Feldern . Der Lese-Schreib-Kopf steht auf dem ersten Zeichen der Eingabe und die Turingmaschine befindet sich im Startzustand q0.

Die Überführungsfunktion gibt an, wie die Turingmaschine schrittweise den Bandinhalt liest und beschreibt, ihren Zustand wechselt und die Position des Lese-Schreib-Kopfes ändert. Diese Funktion nimmt als Argument den aktuellen Zustand und das Zeichen, das sich in der aktuellen Konfiguration unter dem Lese-Schreib-Kopf befindet. Als Ergebnis liefert sie dann genau einen Zustand (dieser wird zum Nachfolgezustand der Turingmaschine), ein Zeichen (mit diesem wird der Inhalt des Feldes, auf welches der Lese-Schreib-Kopf weist, überschrieben) und entweder das Symbol L (in diesem Fall bewegt sich der Lese-Schreib-Kopf um ein Feld nach links), L (in diesem Fall bewegt er sich ein Feld nach rechts) oder 0 (dann verharrt er auf demselben Feld). Damit hat die Turingmaschine einen Schritt ihres Arbeitszyklus durchlaufen und steht für einen weiteren bereit.

Da die Überführungsfunktion partiell ist, muss sie nicht für jeden Zustand und jedes Eingabezeichen einen Übergang definieren. Der Endzustand hat beispielsweise für kein Eingabezeichen einen Nachfolgezustand. Erreicht die Turingmaschine den Endzustand qf, kann die Turingmaschine deshalb keine weiteren Aktionen durchführen, und die Berechnung ist beendet. Die Ausgabe ist dann der Inhalt des Bandes (wobei die Felder, die mit Symbolen aus Γ ∖ Σ gefüllt sind, insbesondere dem Symbol , nicht berücksichtigt werden).

Je nach Bandalphabet können Ein-/Ausgaben und Zwischenspeicherungen unterschiedlich kenntlich gemacht werden.

Beispiel

Die folgende deterministische Ein-Band-Turingmaschine M erwartet eine Folge von Einsen als Eingabe auf dem Band. Sie verdoppelt die Anzahl der Einsen, wobei ein Leersymbol in der Mitte stehen bleibt. Aus 111 wird beispielsweise die Zeichenfolge 1110111. Der Schreib-/Lesekopf befindet sich initial auf der ersten Eins. Der Anfangszustand ist s1, der Endzustand s6. Die Null steht für das leere Feld und das Band ist bis auf die darauf geschriebenen Einsen mit leeren Feldern gefüllt.

M = (Q, Σ, Γ, δ, s1, 0, F)

Die Überführungsfunktion δ ist wie folgt definiert:

aktueller Zustand gelesenes Symbol zu schreibendes Symbol neuer Zustand Kopfrichtung
s1 1 0 s2 R
s1 0 0 s6 0
s2 1 1 s2 R
s2 0 0 s3 R
s3 1 1 s3 R
s3 0 1 s4 L
s4 1 1 s4 L
s4 0 0 s5 L
s5 1 1 s5 L
s5 0 1 s1 R

MDie Turingmaschine durchläuft zum Beispiel bei der Eingabe 11 folgende Zustände, wobei die aktuelle Kopfposition fett gedruckt ist:

Schritt Zustand Band
1 s1 11000
2 s2 01000
3 s2 01000
4 s3 01000
5 s4 01010
6 s5 01010
7 s5 01010
8 s1 11010
9 s2 10010
10 s3 10010
11 s3 10010
12 s4 10011
13 s4 10011
14 s5 10011
15 s1 11011
16 s6 –halt–

Die Berechnung beginnt im Anfangszustand s1. Hier wird die erste Eins durch ein leeres Feld ersetzt, der Schreib-Lese-Kopf bewegt sich nach rechts und neuer Zustand wird s2. Der Kopf wandert nun solange nach rechts, bis ein leeres Feld gelesen wird. Danach gelangt die Turingmaschine in den Zustand s3 und überliest alle weiteren Einsen, bis sie erneut ein leeres Feld findet. Dieses wird dann durch eine Eins ersetzt. Im Zustand s4 bewegt sich der Kopf zurück, überliest wieder alle Einsen, bis er auf ein leeres Feld trifft, Zustandswechsel auf s5. Der Kopf bewegt sich nun solange nach links, bis das ursprünglich in Zustand s1 geschriebene leere Feld gefunden wird. Dieses wird wieder durch eine Eins ersetzt, der Kopf bewegt sich ein Feld nach rechts und die Turingmaschine gelangt wieder in den Zustand s1. Hier beginnt ein neuer Rechenzyklus.

Wird im Zustand s1 ein leeres Feld gelesen, so gelangt die Turingmaschine M in den Endzustand s6, woraufhin die Berechnung beendet wird.

Variationen des Turingmaschinen-Modells

Überblick über Variationsmöglichkeiten

In der Literatur findet man zahlreiche unterschiedliche Definitionen der Turingmaschine, die sich jeweils in einigen Details unterscheiden. So variiert etwa die Anzahl der Bänder, das verwendete Bandalphabet, die zusätzlich verwendeten Spezialzeichen und andere Eigenschaften. Die Vielfalt ist theoretisch durch die These von Church gerechtfertigt, welche im Hinblick auf die Berechenbarkeit die Äquivalenz aller universellen Maschinenmodelle postuliert. Selbst komplexitätstheoretisch sind die Unterschiede zwischen verschiedenen Definitionen weitgehend zu vernachlässigen. So lässt sich etwa jede f(n)-zeitbeschränkte k-Bandmaschine mit beliebig großem k durch eine nur O(f2(n))-zeitbeschränkte 1-Bandmaschine simulieren. Für die Simulation beliebig vieler Bänder kommt es also zu einem maximal quadratischen Mehraufwand. Insgesamt führen alle Arten von Variationen zu nicht mehr als polynomialen Aufwandsunterschieden (wobei Aufwand hier eine beliebige Ressource meint) und sind daher für viele komplexitätstheoretische Untersuchungen vernachlässigbar. Man passt in Abhängigkeit von den Zielen der jeweiligen Analyse das verwendete Modell so an, dass die Analyse möglichst einfach durchgeführt werden kann. Folgende Beispiele zeigen Anwendungen und Variationen des Turingmaschinen-Modells.

Universelle Turingmaschine

In der obigen Definition ist das Programm fest in die Maschine eingebaut und kann nicht verändert werden. Man kann aber eine universelle Turingmaschine definieren, welche die Kodierung einer Turingmaschine als Teil ihrer Eingabe nimmt und das Verhalten der kodierten Turingmaschine auf der ebenfalls gegebenen Eingabe simuliert. Aus der Existenz einer solchen universellen Turingmaschine folgt zum Beispiel die Unentscheidbarkeit des Halteproblems. Eine ähnliche Idee, bei der das Programm als ein Teil der veränderbaren Eingabedaten betrachtet wird, liegt auch fast allen heutigen Rechnerarchitekturen zugrunde (Von-Neumann-Architektur).

Formal ist eine universelle Turingmaschine eine Maschine UTMφ, die eine Eingabe wx liest. Das Wort w ist hierbei eine beliebige Beschreibung einer Maschine Mw, die zu einer bestimmten Funktion mit Eingabe x die Ausgabe berechnet. ist ein Trennzeichen zwischen Programmbeschreibung und Eingabe. UTMφ simuliert also das Verhalten von Mw mit Hilfe der Funktionsbeschreibung w und der Eingabe x. Der Index φ in UTMφ zeigt an, dass es nicht nur eine einzige universelle Turingmaschine gibt. So könnten z. B. UTM1 und UTM2 verschiedene Wörter verstehen. Das Wort w muss dabei in einer Sprache codiert sein, die die UTMφ versteht.

Persistente Turingmaschine

Um interaktive Modelle (im Sinne von Modellen mit Gedächtnis) durch eine Turingmaschine darzustellen, ist eine Erweiterung derselben um eben dieses Gedächtnis notwendig.

Laut Definition (Goldin et al., 2003: Turing Machines, Transition Systems and Interaction) ist eine Persistente Turingmaschine (PTM) eine nichtdeterministische 3-Band-Turingmaschine mit einem Input-, einem Arbeits- und einem Output-Band. Der Input wird auf dem Arbeitsband verarbeitet und erst nach vollständiger Bearbeitung gelangen die Ergebnisse auf dem Output-Band zurück in die Umwelt. Danach kann ein erneuter Input aus der Umwelt verarbeitet werden. Zwischen zwei Arbeitsschritten bleiben die Inhalte des Arbeitsbandes als Gedächtnis erhalten.

Ameise

Chris Langtons Ameise ist eine Turingmaschine mit zweidimensionalem Band, sehr einfachen Regeln und verblüffenden Ergebnissen. (Siehe Ameise (Turingmaschine))

Fleißiger Biber

Ein beliebtes Problem ist der Fleißige Biber: Man finde die Turingmaschine, die mit einer bestimmten Anzahl von Zuständen die maximale Anzahl eines bestimmten Symbols (meist 1) auf das Band schreibt und dann anhält (d. h. eine Endlosschleife ist ausgeschlossen).

Vergessliche Turingmaschine

Eine Turingmaschine wird vergesslich genannt, falls die Kopfbewegungen nicht vom Inhalt der Eingabe abhängen. Jede Turingmaschine kann durch eine vergessliche simuliert werden.

Beziehung zwischen einer Turingmaschine und einer formalen Sprache

Akzeptierte Sprache

Eine Turingmaschine akzeptiert eine Sprache L, wenn sie bei Eingabe eines jeden Wortes x L nach endlich vielen Schritten in einen definierten Endzustand übergeht. Wenn die Turingmaschine in einem anderen Zustand oder überhaupt nicht hält, wird die Eingabe x von ihr nicht akzeptiert.

Eine Sprache L ⊆ Σ heißt genau dann rekursiv aufzählbar bzw. semientscheidbar (Typ 0 der Chomsky-Hierarchie), wenn es eine deterministische Turingmaschine gibt, die L akzeptiert.

Entscheidbare Sprache

Akzeptiert eine Turingmaschine eine Sprache und hält sie zusätzlich bei allen Eingaben, die nicht zu dieser Sprache gehören, so entscheidet die Turingmaschine diese Sprache.

Eine Sprache L ⊆ Σ heißt rekursiv oder entscheidbar, wenn es eine deterministische Turingmaschine gibt, die L entscheidet.

Literatur